Michael Forster über „wes10brass“
bei den Schäftlarner Konzerten
Friedrich-Karl Bruhns, Musikkritiker und Autor der Süddeutschen Zeitung, sprach mit Michael Forster, dem künstlerischen Leiter der Schäftlarner Konzerte und Dirigenten des Blechbläserensembles wes10brass. Anlass ist das Konzert am 19. Juli 2025, das das Ensemble bereits zum dritten Mal nach Schäftlarn führt. Im Gespräch gibt Forster einen Einblick in die besondere Besetzung, das facettenreiche Programm „Von gAbrieli bis jazZ“ und die klangliche Vielfalt, die die Blechbläser auf die Bühne bringen – mit Spielfreude, Virtuosität und dem nötigen Augenzwinkern. Ein Ausblick auf einen Abend, der Renaissance und Romantik ebenso umfasst wie moderne Klassiker und jazzige Rhythmen.
Lieber Michael Forster, heuer bist du zum dritten Mal seit ca. 15 Jahren mit „wes10brass“ bei den Schäftlarner Konzerten. Für all die, die noch nicht ganz so lange dabei sind: Was seid Ihr für ein Ensemble, was macht euch aus?
Auf unserer Website steht: „10 hochkarätige Blechbläser machen ernst, denn sie haben beschlossen, Spaß zu haben“, und damit stecken wir in aller Regel bei den Konzerten das Publikum an. Alle Bläser und ich sind im Hauptberuf Mitglieder renommierter Orchester aus NRW, also aus dem Westen Deutschlands. Daher der scheinbar kryptische Name. Wir spielen in der klassischen Besetzung, die der britische Trompeter Philip Jones für sein Brass-Ensemble entwickelt hat: vier Trompeten, vier Posaunen, dazu ein Horn und eine Tuba.
Hat sich dieser Instrumentenmix zufällig so ergeben, oder steht ein musikalisches Konzept hinter dieser Auswahl?
Ganz klar ein Konzept. Wir kommen ja auch nicht mit je vier gleichen Trompeten oder Posaunen. Wir bringen einen ganzen Instrumentenwald auf die Bühne, ich weiß gar nicht, wie viele es genau sein werden, in unterschiedlicher Stimmung für höhere Lagen oder satte Tiefen. Der typische gleißende Trompetensound wird durch die weicheren Klänge des Flügelhorns ergänzt. Das ist auch eine Trompete, trotz des Namens, aber anders gebaut: Das Rohr ist nicht zylindrisch gebohrt, also mit gleichem Durchmesser über die ganze Länge, sondern konisch, d.h. es wird nach unten hin weiter, deshalb klingt es viel softer. Bei den Posaunen sieht man den Unterschied zwischen den Tenorposaunen und der viel größeren, komplizierteren Bassposaune deutlich auch von der letzten Reihe aus. Auch verschiedene Mundstücke verändern die Klangfarbe zwischen strahlend virtuos und wärmer. Die Wirkung dieser Mischung ist wie die der Butter in der Sauce, je nach Charakter des Stücks ergeben sich ganz verschiedene Texturen.
Als Oboist, also Holzbläser, bist du eigentlich der Exot. Wie seid Ihr denn zusammengekommen?
Meine Oboe spielt ja auch gar nicht mit ... aber im Ernst: Sie haben mich halt gefragt, und ich hatte Lust drauf. Ich glaube zwar, sie waren anfangs mehr an meinen Moderationen – darauf kommen wir noch – als am Dirigat interessiert, aber vielleicht hat sich das über die Jahre ein bisserl geändert.
Dann schauen wir jetzt genauer ins Programm, von dem ihr über den großen Bogen „Von gAbrieli bis jazZ“ hinaus noch nichts verraten habt. Was erwartet uns?
Anfangen werden wir mit Musik des Grand’homme der Blechbläser, des niederländischen Komponisten Jan Koetsier, der sehr lange in München als Kapellmeister und Lehrer gewirkt hat. Seine „Sonata Praeclassica“, das sagt schon der Titel, ist ein Stück für modernes Brass-Ensemble, in dem er klassische Form mit dem Klangbild des 20. Jahrhunderts verbindet – vielleicht so, wie Prokofiew zu seiner „Symphonie Classique“ sagte, in diesem Stil könnte Haydn heute komponiert haben. Die drei Teile „Fanfare/Toccata -Chaconne - Fuge“ kommen eindeutig in modernem Gewand daher.
Nach dieser prachtvollen Einleitung, die die ganze Spannweite des Abends thematisiert, geht es weiter mit zwei reinrassigen Renaissance-Werken des Venezianers Giovanni Gabrieli. Auch er hat übrigens eine enge Verbindung zu Bayern: Er lebte einige Jahre am Münchner Hof und studierte bei Orlando di Lasso. Er war später jahrzehntelang am Markusdom in Venedig und hatte so ausreichend Zeit – und das Genie! –, die raffinierte musikalische Nutzung der Architektur mit ihren gegenüberliegenden Emporen durch ausgefeilte Doppelchörigkeit zu perfektionieren.
Hören das denn die Zuhörer in der einschiffigen Klosterkirche Schäftlarn?
Auch wenn wir uns nicht im strengen Sinn einander gegenübersitzen werden, diese Antiphon-Technik, quasi mit zwei Teilensembles, wird auch hier gut rüberkommen, besonders im ersten Stück, der „Canzon Duodezimi Toni“. Bei der „Sonata XIII“ liegt der Schwerpunkt auf der rhythmischen Komplexität, einem Mit- und Gegeneinander von, vereinfacht gesagt, Zweier- versus Dreiermetrum. Es heißt, das leite sich her vom Pulsieren des irdischen „schlichteren“ Zweier- bzw. Vierermaßes und des „göttlichen“ Dreierrhythmus‘, der die Dreifaltigkeit repräsentiere. Ob das nun so stimmt oder nicht, Gabrielis Musik hört sich jedenfalls grandios an.
Der Name des nächsten Komponisten, Michael Praetorius, ist eher lateinisch, der Titel „Terpsichorean Suite“ klingt englisch – ein Widerspruch?
Praetorius stammt aus Eisenach, der Name ist das latinisierte, weil für vornehmer gehaltene Wort für „Schultheiß“, im weitesten Sinn also so etwas wie „Bürgermeister“. Diese Musik ist eine Bearbeitung für ein Ensemble wie unseres, kurz nach der Erfindung dieser Besetzung durch Philip Jones. Deshalb waren auch die ersten Arrangeure wie er meistens Engländer, daher die englischen Titel.
Bei alter Musik, schon gar aus der Renaissance und dem Barock, gilt ohnehin: zu der Zeit wurde bestenfalls eine Art Grundgerüst der Melodie in zwei oder vielleicht vier Stimmen notiert. Aber die Adaption für eine konkrete Aufführung in einer bestimmten Kirche und für ihre damaligen Instrumente, ganz andere als unsere, die haben die Musiker jeweils selbst besorgen müssen. Insofern ist jede Musik dieser Zeit, die wir heute hören, eine Bearbeitung.
Praetorius war nicht nur der Verfasser bedeutender musiktheoretischer Schriften, sondern auch einer der ersten Musik- und Notensammler – wenn man so will, ein früher Vorgänger von Bela Bártók, der ja die authentische ungarische Volksmusik umfassend dokumentiert hat. Terpsichore war in der griechischen Mythologie die Muse des Tanzes, wir haben hier also eine frühe Sammlung von über 300 vor allem französischen Tänzen – die wir leider nicht vollständig spielen. Ich sehe diese Terpsichore als eine Art Erfindung der Pop-Musik, vertanzte Renaissance. Unsere Auswahl will ich aber im Konzert live erläutern.
Das ist neu, an ein Gesprächskonzert in Schäftlarn dürfte sich kaum jemand erinnern ...
Dafür gibt es zwei ganz praktische Gründe. Am Abend bis zum Konzert müssen die Stimmen akribisch auf festgelegten Plätzen liegen, die Musiker gehen dann jeweils zu ihren Noten – nennen wir’s ein Bühnenballett, das sich daraus ergibt und dem die Moderation etwas Zeit erlaubt. Und Blechblasen ist Höchstleistungssport für Lippen und die Muskeln drum herum, die sind entscheidend fürs Erzeugen von sauberem Klang und besonders für die Tonhöhe. Anders als in der Oper oder beim Aufführen einer Sinfonie haben wir hier nicht immer wieder mal kurze Verschnaufpausen, um sie zwischendurch zu lockern. Wären die Muskeln ständig unter der notwendigen Spannung, ginge das über die Dauer des ganzen Konzerts nicht gut. Deshalb sind meine Zwischentexte allein schon eine physiologische Notwendigkeit für die Kollegen. Dass sie dem Publikum hoffentlich auch helfen, ist ein sympathischer Nebeneffekt.
Mit dem „Ave Maria“ von Felix Mendelssohn springt Ihr dann zwei Jahrhunderte weiter in die musikalische Romantik.
Abraham Mendelssohn, der Vater von Felix und Fanny, befürchtete, dass der jüdische Name deren Erfolg wesentlich behindern könnte. Nach Übertritt zum Christentum nahm er deshalb für seine Familie den neutralen Beinamen eines Nebenzweiges an. Der Sohn stand aber diesem zusätzlichen Namen immer ablehnend gegenüber, zum großen Ärger seines Vaters. Felix hätte sich über den jüdischen Namen allein also gefreut. Dass Vater Abrahams Bedenken berechtigt waren, erwies sich dann ein gutes Jahrhundert später, ab 1933 wurde die Aufführung von Mendelssohns Musik verboten. Und wie lange diese 12 Jahre nachgewirkt haben, wie viele Jahrzehnte Mendelssohn auch weit nach 1945 kein Thema war, ist ein ganz trauriges Kapitel.
Felix‘ Opus 23 „Ave Maria“ ist im Original eine Chorkantate aus dem Jahr 1830, das passt doch perfekt in unsere schöne Kirche, ehe wir in die Pause gehen. Für Brass-Ensemble bearbeitet hat sie der junge Matthias Bucher, ein begnadeter Arrangeur, mit dem ich schon mehrfach gearbeitet habe. Dass er auch hervorragend eigenständig komponiert, zeigen wir mit seiner „Sinfonic Brass Fanfare“. Sie hat den Charakter einer Intrada, womit wir zu den großen Blechblas-Standards und -Evergreens aus dem 20. Jahrhundert für die zweite Konzerthälfte überleiten.
Erstmal geht‘s auf Stadtrundfahrt durch die britische Hauptstadt mit den „London Miniatures“ von Gordon Langford, wir besuchen etwa den Trafalgar Square und den Green Park und schauen – vielmehr hören – uns die Parade der Horse Guard an.
Wirklich ein Klassiker? Ich gebe zu, Langford ist mir bislang kein Begriff.
Angefangen hat er auch als Pianist, hat aber dann schnell vor allem sehr viel für Blechbläser komponiert und arrangiert, gerade auch für Philip Jones und sein Ensemble. Insofern ja, ein echter Klassiker. Schauen wir mal, ob es für alle sechs Teile reicht. So etwas entscheiden wir spontan, ich sag’s vorher dem Publikum an.
Jacob Gade ist beinahe ein One-Hit-Wonder, berühmt ist er vor allem für seinen Tango „Jalousie“ oder „Jealousy“, ursprünglich für einen Stummfilm komponiert. Das Stück hat dann Weltkarriere gemacht, z. B. auch im Film „Tod auf dem Nil“. Aber Vorsicht, Jacob bitte nicht verwechseln mit seinem dänischen Landsmann Niels Wilhelm Gade, einem Freund und Schüler von Mendelssohn.
Und dann spielt ihr einen meiner absoluten Lieblingssongs, dafür auch ganz persönlichen Dank. Bislang gefällt mir eine verträumte Einspielung der Liedermacherin Joni Mitchell am besten.
Leider konnten wir die nicht mitbringen, das wär auch toll gewesen – aber vielleicht löst unsere Bläserfassung von „Send in the clowns“ durch Roger Harvey sie ja auf deiner Favoritenliste ab. Sonderberg hat übrigens keine Zirkusclowns, sondern „Narren“ gemeint, hat er mal erklärt. Unabhängig davon ist es wirklich ein wunderschönes Lied, auf das wir uns auch selbst freuen.
Ganz zum Schluss machen wir quasi einen Gegenbesuch bei Gershwins bekanntem „Amerikaner in Paris“, nämlich mit dem „Londoner in New York“ von Jim Parker, der ebenfalls schon für das Philip-Jones-Ensemble geschrieben hat.
Der österreichische Schriftsteller Hans Weigel hat in einem Buch Ottorino Respighi als den Mann bezeichnet, „der den Stadtplan von Rom vertont“ habe (wegen seiner drei Romkompositionen). Daran habe ich sofort bei Satztiteln gedacht wie „Grand Central“, der berühmte Bahnhof, oder „Echos of Harlem“.
Lustig, und das passt auch hier gut, alle vier Sätze sind plastische musikalische Bilder dieser Orte in New York. Für uns ist das nach dem ganzen Abend aber kein leichter Spaziergang, besonders der letzte Satz „Radio City“ – einer der berühmtesten Musikclubs – ist eine Sensation. Hoch kompliziert, sehr anspruchsvoll zu spielen, extrem virtuos. Wir lösen damit das Titelversprechen ein, denn spätestens hier sind wir in der frühen amerikanischen Jazzszene angekommen.
Offenbar ein echtes Highlight. Schade, dass es dann vorbei ist ...
Ich kann nichts versprechen. Aber wenn der Beifall so lang geht, dass die Muskeln sich wieder etwas regenerieren können, ist vielleicht noch was drin ...
Hoffentlich lesen das jetzt noch viele vorm Konzert. Das Gespräch hat großen Appetit darauf gemacht – ist ja nicht mehr lang bis dahin. Ganz herzlichen Dank dafür, und Euch allen viel Freude und Erfolg bei den Proben.
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